Einführung Oberkirche

Der Erzengel Michael wird traditionell mit der Vorstellung des Seelenwägers verbunden (Fresko Kirche, Abb.), der am Tag des Jüngsten Gerichts entscheidet, wer in den Himmel, wer in die Hölle kommt. Die Michaelerkirche ist eine der wichtigsten Grabkirchen des höfischen Adels in Wien. Bestattungen sind in christlichen Kirchen seit dem Hochmittelalter üblich: Priester, Adelige, später aber auch betuchte nicht adelige Wohltäterinnen und Wohltäter fanden in Gotteshäusern ihre letzte Ruhestätte. Sie wählten Kirchen als Bestattungsorte, um dem Allerheiligsten, den Reliquien der Märtyrer und den betenden Gläubigen näher zu sein, eine Nähe, die den Verstorbenen im Jenseits Nutzen bringen sollte, ihren Nachkommen Prestigegewinn und Ansehen. Wer sich in der Michaelerkirche begraben ließ, suchte aber nicht nur die Nähe Gottes, sondern auch die des Herrschers, denn St. Michael war Hofpfarrkirche. Es waren daher vornehmlich Höflinge – von Hochadeligen bis zu Kammerdienern –, die St. Michael vor allem im 16. und 17. Jahrhundert als ihren prestigeträchtigen letzten Ruheplatz wählten. Sie wurden unter dem Kirchenboden in der Erde, später in Grüften bestattet. Im 17. Jahrhundert wurde schließlich eine Pfarrgruft in der Unterkirche angelegt, die auch den weniger betuchten nicht adeligen Pfarrangehörigen die Beisetzung in St. Michael ermöglichte.
Um die Nachwelt auf die Verdienste der Verstorbenen aufmerksam zu machen, ließen sie selbst noch zu Lebzeiten (vanitas) oder ihre Nachfahren Deckplatten am Kirchenboden, später – weil besser sichtbar – Epitaphien an den Wänden und an den Stützpfeilern anbringen. Ihrem gesellschaftlichen Stand entsprechend verwendeten sie dafür unterschiedlich prominente Orte im Kirchenraum. Im Chor befinden sich die Denkmäler namhafter adeliger Familien, im Lang- und Querschiff auch die anderer Wohltäter. Die Anordnung der Grabdenkmäler im Kirchenraum dokumentiert somit den gesellschaftlichen Status der Stifterfamilien. Der an sich vergängliche Ruhm (vanitas) sollte durch die für Gläubige, Kaiser und Hof sichtbaren Monumente in Erinnerung (memoria) behalten und verewigt werden. Ebendiese Funktion erfüllte die Kirche durch neue Denkmäler bis ins 20. Jahrhundert.

Johann Heiss/Johannes Feichtinger