Ein Bericht von Landeskonservator HR Dr. Friedrich Dahm und Mag. Manuela Legen-Preissl vom Bundesdenkmalamt, die die „Neubelebung“ der Michaelergruft ab 2004 betreut haben.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Gruft von St. Michael, wenn überhaupt, dann nur einigen wenigen Insidern bekannt war; demzufolge wurde damals auch kein Eintritt gewährt, Besuche waren nur in wenigen begründeten Einzelfällen und nach Voranmeldung möglich. Es war und ist das Verdienst von Pater Peter [van Meijl], den hohen kulturhistorischen Wert und das pastorale Potential der Begräbnisstätte erkannt und in enger Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt Überlegungen angestellt zu haben, sie nach denkmalfachlichen Gesichtspunkten zu sanieren und schließlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies alles ist mittlerweile geschehen – doch der Reihe nach!
Zur Geschichte der Gruft
Die barocke Gruft unterhalb der Wiener Michaelerkirche zählt zu den bedeutendsten Anlagen dieser Art in Wien und Österreich. Im 16. Jahrhundert wurden zunächst Einzelgrüfte angelegt. Später, im 17. Jahrhundert, erfolgte die Errichtung der Gemeinschaftsgrüfte, die nach und nach durch unterirdische Gänge miteinander verbunden wurden. So entstand ein weit verzweigtes Netz von Gängen, Räumen, aber auch gewölbten „Hallen“, in denen neben den herrschaftlichen Metallsärgen nach und nach auch einfachere Grablegen in Form von meist bemalten Holzsärgen Platz fanden. Bis heute haben sich mehr als 200 solcher barocker Särge erhalten, die – zumal sie vereinzelt auch noch in historische Trachten gekleidete mumifizierte Verstorbene bergen – von außerordentlicher und über die Grenzen Österreichs reichender Bedeutung sind. Sie bringen neue Erkenntnisse über Begräbniskunst und -kultur, aber auch über Gesellschaft und Brauchtum des 17. und 18. Jahrhunderts.
Die Ausgangssituation und erste Maßnahmen
Durch unterschiedliche Faktoren schien die Erhaltung dieses bedeutenden kulturhistorischen Denkmals der Stadt Wien zu Beginn des 21. Jahrhunderts akut gefährdet. Die extrem hohe Luftfeuchtigkeit (von bis zu 95 % relative Luftfeuchte), ein bis vor kurzem in Europa gänzlich unbekannter Rüsselkäfer, der sich in diesem Raumklima pudelwohl fühlte und sich am Holz gütlich tat, aber natürlich auch der Zahn der Zeit haben den Holzsärgen stark zugesetzt. Vor allem in den letzten Dezennien entwickelte sich der Verfallsprozess rapide.
Ab 2004 wurden daher vom Bundesdenkmalamt Klimamessungen veranlasst und in der Folge Vorkehrungen zur Verbesserung und dauerhaften Stabilisierung des Raumklimas getroffen. Hierzu zählte die Auffindung und gesteuerte Wiederinbetriebnahme der historischen Lüftungskanäle, die über Jahrhunderte zu einem ausgewogenen Klima beigetragen hatten, dann aber irgendwann in der Nachkriegszeit (in bester Absicht) vermauert wurden, was in der Folge zur Verschlechterung der Werte beigetragen hat. Hierzu zählen aber auch die Aufstellung und der Betrieb von auf die räumliche und klimatische Situation maßgeschneidert abgestimmten Entfeuchtungs- und Kühlgeräten, die heute ein stabiles Klima von unter 70 % relative Luftfeuchte bei 12° Celsius garantieren. Damit war der progressive Verfall der sensiblen Kunstwerke gestoppt, und auch der Rüsselkäfer, der in dem neuen Klima keine Überlebenschancen vorfindet, hat mithin seine gefräßige Tätigkeit eingestellt.
Die Restaurierung der Holzsärge
Erst jetzt waren die Voraussetzungen gegeben, das Projekt der Restaurierung der mit Malereien verzierten Holzsärge zu verwirklichen. In einem ersten Schritt wurden auf Initiative des Bundesdenkmalamtes der Bestand und der teilweise besorgniserregende Zustand der mehr als 200 Holzsärge erhoben und ein entsprechendes Inventar angelegt. Sodann erfolgten Musterrestaurierungen an drei speziell ausgesuchten Holzsärgen unterschiedlichster Zustände, um schon im Vorfeld einer größeren Kampagne die einzelnen restauratorischen Vorgangsweisen zu erproben und sodann verbindlich festzulegen. Zu den einzelnen Maßnahmen zählen die Sicherung und Konservierung der Malereien, die Entfernung des Schimmelbefalls sowie die sorgfältige Reinigung der z.T. stark verschmutzten Holzoberflächen; des Weiteren wurden im Fall größerer Einbrüche stützende und stabilisierende Vorkehrungen getroffen.
Nun konnte das große Projekt seinen Anfang nehmen. Sorgfältig wurden von der Pfarre und dem Bundesdenkmalamt 50 Holzsärge selektiert, die mit ihren speziellen Typen, den Themen und der Qualität der Malereien sowie der Zimmermannsarbeiten einen möglichst repräsentativen Querschnitt des Gesamtbestandes widerspiegeln sollten. In mehreren Tranchen wurden sodann alle 50 Särge restauriert, wobei die erheblichen Kosten von der Pfarre St. Michael, der Stadt Wien (MA 7), dem Bundesdenkmalamt und dem Bauamt der Erzdiözese Wien getragen wurden.
Die Präsentation
Nach Rückkehr in die Gruft wurden die restaurierten (aber auch die übrigen) Särge auf eigens konstruierten Sockeln montiert, damit sie auch nicht mehr der Erdfeuchte ausgesetzt sind. In der zentralen gewölbten Halle im Bereich unterhalb des Querhauses wurden sie schließlich gemäß der historischen Aufstellung platziert und durch ein ausgeklügeltes und geebnetes Wegesystem für den Besucher erschlossen. Als notwendig erwies sich auch eine Erneuerung der Beleuchtung, die die Begräbnisstätte in ein der Bedeutung des Ortes adäquates Licht taucht.
Nach Auskunft der Pfarre wurden und werden die Führungen – und nur im Rahmen solcher ist die Gruft zugänglich! – von den Wienerinnen und Wienern, aber auch von zahlreichen in- und ausländischen Gästen begeistert angenommen. Dabei steht die Gruft keineswegs nur als kulturhistorische Stätte im Vordergrund, vielmehr soll ein Besuch auch zum Nachdenken über die Endlichkeit des Lebens und die Ewigkeit nach dem Tod anregen.
Dieser Text ist veröffentlicht in Michaeler Blätter, Nr. 39, Mai 2016, S. 6 f.