Das Barnabitenarchiv von St. Michael (1756) – Ein zu pflegendes Juwel
Im 1. Stock des Michaelerkollegs, verborgen hinter dem Speisesaal der Salvatorianischen Hauskommunität, findet sich ein einzigartiges Juwel innerhalb Wiens Archivlandschaft: das Michaeler Kollegs-Archiv, gemeinhin nach seinen Gründern auch als „Barnabitenarchiv“ bezeichnet.
Das Archiv ist nicht nur hinsichtlich seines Bestandes an Schriftgut zur Pfarr- und Ordensgeschichte St. Michaels seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts bis ins Jahr 1923 von unschätzbarer historischer Bedeutung1, sondern auch hinsichtlich seiner im Original erhaltenen räumlichen Ausstattung kunsthistorisch bemerkenswert.
Als sich die Barnabiten unmittelbar nach ihrer Berufung durch Kaiser Ferdinand II. zur Errichtung eines Kollegs an der Michaelerkirche entschieden, dürfte wohl im baulichen Gesamtkonzept auch bereits ein hauseigener, repräsentativer Archivraum eingeplant gewesen sein. Ob damals allerdings bereits der genannte Raum im 1. Stock dafür vorgesehen war, ist nicht bekannt. Jedenfalls ging man nach Bauvollendung um 1710 daran, sich einen Überblick über das angefallene Schriftgut zu verschaffen, um dieses entsprechend einordnen zu können.
Ein Neubeginn mit Hürden…
Es war dies ein alles andere als konfliktfrei verlaufendes Unterfangen, wie sich herausstellen sollte: War doch bis dato für die Verwaltung des Pfarr- und Kirchenvermögens und die Instandhaltung der Pfarrkirche die Wiener Bürgergemeinde und an ihrer Spitze der sogenannte Kirchenmeister zuständig. All dies sollte nun im Rahmen einer kaiserlichen Schenkung zur Gänze in die Hände der aus Italien eingewanderten Barnabiten fallen. Ein Grund zur Empörung für die Mitglieder der Stadtverwaltung!2 Dementsprechend schwierig gestaltete sich auch die Übergabe der ebenfalls gänzlich im Wiener Stadtrat aufbewahrten Archivalien der Michaelerpfarre an die Barnabiten. Tatsächlich sollte es noch mehr als ein Jahrhundert dauern, bis der Streit zwischen Barnabiten und Wiener Magistrat allmählich beigelegt wurde und letzterer Stück für Stück alle in seinem Besitz befindlichen Dokumente aushändigte.3
Ein (spät-)barockes Gesamtkunstwerk entsteht
Im Jahr 1756 legte Carl Popp (1694 – 1774), Laienbruder der Barnabiten, schließlich ein fertiges Raumkonzept vor. Der begabte Architekt, der auch als Bausachverständiger des Ordens fungierte, hatte sich bereits im Jahre 1723 einen Namen gemacht, als er seine Ideen für eine letztlich unverwirklicht gebliebene imposante Barockfassade für die Michaelerkirche vorlegte.4
Popp gelingt mit seinem Entwurf eine außerordentlich geschickte Nutzung des nur 24 m² kleinen und 4,10 m hohen Raumrechtecks: Er kleidet die gesamte Raumschale bis zum Gewölbeansatz mit einem robusten Schubladenschranksystem aus braun gebeiztem Hartholz aus. Darüber hinaus nutzt er auch den hohen Postamentbereich5, auf dem die Kästen aufsitzen, in dem er diesen nach vorne aufklappbar gestaltet. Die insgesamt 213 Schubladen unterschiedlicher Größe bieten Platz für das in Faszikel gebündelte Schriftgut, und 22 geräumige Postamentfächer sind darüber hinaus geeignet, auch sperrigere Dokumentenformate wie Entwurfszeichnungen oder Grundrisspläne aufzunehmen.6
Der besondere Reiz des Archivraumes liegt aber nicht nur in seinem klugen Raumnutzungskonzept und seiner Praktikabilität, als vielmehr in seinem kunstvollen, im Stil der Zeit ausgestatteten Interieur. Schon durch die zahlreichen Baumaßnahmen in der Michaelerkirche selbst hatten sich die Barnabiten als moderne, kunstsinnige Bauherren, die das Barock direkt aus ihrer italienischen Heimat importierten, einen Namen gemacht.
Das bedacht applizierte Rokokodekor im Raum zeigt sich etwa in den holzintarsierten7 Pilastern, die die Schränke rahmen und räumliche Akzente setzen. Aufsatzgitter im Rocailledekor8 bekrönen die Schränke und liefern darüber hinaus ein barnabitisches Programm: In die Gitter eingelassen sind drei Aufsatzbilder, die Kaiser Ferdinand II., der die Barnabiten 1626 nach Wien berief, Kardinal Melchior Khlesl, während dessen Amtszeit die Barnabiten nach Wien kamen9 und den hl. Paulus als Patron der Barnabiten zeigen.
Das Archiv und seine Schriftgutverwahrung unter konservatorischer Sicht
Hinsichtlich der Betreuung und der wissenschaftlichen Erschließung des Archivs hat sich der Salvatorianerpater Waldemar Posch (1911-1992) große Verdienste erworben. Zu seinen unschätzbaren Leistungen zählen die umfassende Bestandsaufnahme und die Verzeichnung aller Archivalien in einem Repertorium im Jahre 198410. Dieses Verzeichnis gilt bis heute als das Hauptfindmittel des Archivs.
So verdienstvoll Poschs Arbeit der Dokumentenerschließung war, so wenig fachgerecht war leider seine Wahl der „Archivverpackung“, für die er sich im Zuge seiner Erschließungsarbeit entschied: Plastikstrumpfsäckchen (!) der Firma Palmers.
Eine erste Sichtung, die ich gemeinsam mit meinem Kollegen Robert Passini im Frühjahr 2013 anstellte, zeigte uns, dass die Dokumentenbündel oftmals regelrecht in die Säcke hineingepresst waren. So war es wiederholt zu teils starken mechanischen Belastungen und Schäden wie dem Verbiegen der Schriftstücke gekommen. Nicht selten waren die Schubladen selbst auch übermäßig mit den Dokumenten angefüllt. So bestand zusätzlich die Gefahr einer Beschädigung der Archivalien beim Herausziehen der Schublade.
Dennoch gibt es aber auch Positives zu berichten: So zeigte sich uns zu unserer Überraschung, dass abgesehen von offenbar alten Fraßspuren insbesondere an den schweren Ledereinbänden der Rechnungsbücher weder aktueller Insektenfraß noch Schimmelbefall virulent waren. Möglicherweise ist das relativ konstante, kühle und nicht zu feuchte Klima des gut geschützten und durch ein schweres, schmiedeeisernes Tor und Fensterläden verschlossenen Raumes Grund dafür. Dennoch: eine umfassende Untersuchung und Befundung durch Spezialisten ist noch ausständig und wird restlos Klarheit bringen!
Umso wichtiger erschien es uns, rasch zu handeln und die bisherigen Fehler zu beseitigen: Zu unseren Strategien zählt das Austauschen sämtlicher Plastiksäcke durch archivsichere und säurefreie Pergaminpapierhüllen. Denn das warme, feuchte Klima innerhalb der verschlossenen Plastiksäcke bietet einen optimalen Nährboden für Schimmel und Insekten. Auch hatte sich in den letzten Jahrzehnten in den Schubladen und auf den Säcken eine beträchtliche Staubschicht abgelagert, und eine nutzergerechte Handhabung war nicht mehr gewährleistet. Faszikel, die nicht mehr in die Laden passten, wurden von uns separat in Archivkartons gelagert, die wir mit entsprechendem Querverweis und Signatur versahen.
Wenn Sie jetzt neugierig geworden sind, so haben Sie im Rahmen einer Klosterführung mit Pfarrer Pater Peter van Meijl die Möglichkeit einer Archivbesichtigung. In diesem Fall, wie auch bei speziellen Forschungsanfragen, bitten wir Sie um telefonische Terminvereinbarung in der Pfarrkanzlei unter Telefonnummer +43 1 5338000.
Dieser Text ist veröffentlicht in Michaeler Blätter, Nr. 28, August 2013, S. 8 f.