Zur Zeit der Barnabiten (17. und 18. Jh.) war wohl die exakte Fertigung von Uhren schon möglich, doch war es nicht selbstverständlich, dass alle Ordensleute einen Zeitmesser bei sich hatten. So wurde sowohl aus Nützlichkeitsgründen als auch sicherlich der Ästhetik wegen im Klosterhof von St. Michael eine Sonnenuhr angebracht. Die Datierung der Sonnenuhr lautet 1711, Renovierungen erfolgten in den Jahren 1794, 1857, 1890 und 1895.
Um solch eine „vertikale“ – weil auf einer senkrechten Mauer angebrachte – Sonnenuhr zu entwerfen, bedurfte es guter astronomischer und mathematischer Kenntnisse. Unter anderen Künstlern hat auch Albrecht Dürer heute noch gültige Regeln für die Ziffernblattkonstruktion aufgestellt.
Von den zwei Stäben im ovalen Feld an der Sonnenuhr ist nur der auf die Skalenwand seinen Schatten werfende, sogenannte „Polstab“, von Bedeutung (am obersten Montagepunkt angebracht). Er steht parallel zur Erdachse und zeigt dadurch in Richtung Polarstern. (Dieser Stab – er ist genau südlich zur Wand – wurde manchmal besonders gekennzeichnet, sei es durch Aufsetzen einer Pfeilspitze oder Vergoldung.) Der andere Stab dient primär nur der Befestigung des Polstabes. Die Skala zeigt unregelmäßige Zeitintervalle, ausgehend von der Mittagsstunde 12 Uhr, bei welcher der Schatten des Polstabes genau senkrecht verläuft. (Die Sonnenuhr in St. Michael geht deshalb der MEZ, die in Österreich auf dem Längengrad durch Gmünd im Waldviertel genau ist, um 5 Minuten voraus!). Die unregelmäßigen Stundenintervalle sind nötig, weil die Wand stark von der idealen Ost-Westrichtung abweicht, was an den Schöpfer der Skala besondere mathematische Anforderungen stellte. Ein Entwurf der Sonnenuhr mit den Mitteln des 21. Jhdt. zeigt Übereinstimmung des Zifferblatts mit jenem von 1711 und somit einen souverän agierenden Meister.
Eine Sonnenuhr zeigt vier Mal im Jahr ganz „richtig“; dazwischen gibt es gegenüber MEZ Abweichungen bis maximal plus/minus 16 Minuten. Diese Tatsache istim Ablauf der Jahreszeiten begründet. Dass eine Sonnenuhr nur an klaren Tagen zur Wirkung kommt, ist selbstverständlich, aber dann „geht“ unsere Klostersonnenuhr an den Tagen mit der längsten Helligkeit von 4 Uhr Früh bis 14.30 Uhr nachmittags; später fällt der Schatten bereits hinter die Wand, da diese – wie schon erwähnt – nicht in Ost – West Richtung steht, woraus auch die „Verzerrung“ der Stundeneinteilung resultiert. Die Zeit für das frühmorgendliche und mittägliche Chorgebet war jedenfalls für alle Klosterbewohner ablesbar.
Zur weiteren Orientierung – mittels der Schattenlänge – wurden entweder die Monatsnamen in die Sonnenuhr eingetragen, oder wie hier in St. Michael die entsprechenden Tierkreiszeichen.
Auf der Sonnenuhr findet sich das Zitat “Adhuc Caelum Volvitur“, das vermutlich von Erasmus von Rotterdam stammt. Es ist zu übersetzen mit „Bis jetzt/immer noch rollt der Himmel“ oder frei „Der Himmel trägt noch“ / „Der alte Herrgott lebt noch“.
Für den gläubigen Menschen bedeutet diese Inschrift das vertrauensvolle Hinwenden zu Gott, seinem Schöpfer, „denn 1000 Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht“ (Ps. 90).
So lehrt die Sonnenuhr „unsere Tage zu zählen“ (Ps. 90), vornehmlich die Sonnentage, die die Herzen der Menschen froh stimmen und über trübe Zeiten im Leben hinweghelfen.
Dieser Text ist veröffentlicht in Michaeler Blätter, Sonderheft Nr. 3, „Pretiosa“, Juni 2010, S. 16