Die große Glocke von St. Michael – nun klingt sie wieder vom hohen Turm
Am 18. Juli 1525 war der Cillierhof (der heutige Amalienburgtrakt der Hofburg) der Ausgangspunkt des verheerenden Stadtbrandes, bei welchem nicht nur rund 40 % der Wiener Stadt eingeäschert wurden, sondern auch Teile der Michaelerkirche. Das Feuer erreichte den Turm der Kirche zwischen dem 18. und 25. Juli, dem Jakobitag (welcher auf der Glocke vermerkt ist). Es ist davon auszugehen, dass das Feuer wie in einem Kamin im Turm nach oben zog und dabei im Wesentlichen nur den Glockenstuhl mit den dazugehörigen Glocken zerstörte. Auf ähnliche Weise wurden im April 1945 sämtliche Glocken des südlichen Heidenturms der Wiener Stephanskirche vernichtet, unter denen sich die Fürstenglocke befand, welche vom Glockengießer Ladislaus Raczko 1509 umgegossen wurde.
Der Gießer hatte ab 1487 das Wiener Bürgerrecht, und sein Aufenthalt in Wien ist bis etwa 1525 nachweisbar. In diesem Jahr erhielt er auch den Auftrag zur Schaffung der großen Michaelerglocke. Diese war am Samstag vor dem Michaelitag (29. September) fertig. Da nur der hölzerne Glockenstuhl erneuert werden musste und das Material von den zerstörten Glocken ja noch vorhanden gewesen sein wird, ist die Herstellung in dieser kurzen Zeit durchaus glaubhaft.
Ab dem Jahre 1525 wurde die gemauerte Türmerstube (in der Höhe von 27,74 m) mit spätgotischem Gewölbe unterhalb des Glockengeschosses (32,64 m) im Turm (gemauerte Höhe 50,34 m) errichtet. Die Hauptaufgabe war die Brandwache, welche spätestens 1534 durch die erste eingehende Feuerordnung Pflicht war.
Beim Erdbeben in der Nacht vom 15./16. Sept. 1590 soll die Krone (Aufhängung der Glocke) beschädigt worden sein. Dies wäre durchaus denkbar, da der gesamte steinerne Turmhelm einstürzte. Bis 1594 wurde das heute noch existierende Kupferdach (Dachhöhe 28,2 m) anstelle des Steindaches aufgesetzt. Der Turm wurde dabei um etwa 16 m erhöht und hat heute eine Gesamthöhe von 78,5 m. Fest steht, dass die letzte Glockenkrone vor der Restaurierung 2006 aus Eisen gearbeitet war. Diese dürfte höchstens aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen. Sie ist aber wahrscheinlich eher dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zuzuordnen.
Im Kriegsjahre 1916 mussten alle Glocken der Michaelerkirche bis auf zwei abgeliefert werden. Die Pfarrchronik vom 8. und 12. Dezember 1941 enthält auf den Seiten 4 und 5 eine Aufzählung der vorhandenen Glocken, welche wegen der Kriegsumstände abgeliefert werden mussten: die kleine Antonius-Maria-Zacharias Glocke aus dem Jahre 1897, die Judas Thaddäus Glocke 1926, sowie die Ave- und Theresien-Glocken aus dem Jahre 1934. Die beiden letzten Glocken wurden von der Firma Grassmayr (Innsbruck) hergestellt.
Nur die große Glocke von 1525 mit einem Gewicht von etwa 2300 kg und einem Durchmesser von 154 cm blieb der Kirche erhalten. Am 13. Mai 1992, dem Servatiustag, verstummte die Glocke durch einen Riss.
Die Begutachtung ergab, dass nicht das um 1934 eingebaute elektrische Schlagwerk den Riss verursachte, sondern eine damals übliche Drehung der Glocke. Durch diese Drehung hätte der Schlagring, an den der Klöppel anschlägt, entlastet werden sollen. Der Schlagring befindet sich am unteren Teil der Glocke und stellt den stärksten Teil der Wandung dar. Durch das Anschlagen verringert sich im Laufe der Jahre die Wandstärke. Bei der Michaelerglocke fehlte 1992 auf einer Breite von etwa 35 cm etwa ein Fünftel dieser Wandstärke.
Am Montag, dem 30. Nov. 1992, wurde die Glocke von 1525 mit Hilfe eines Kranes aus dem Turm herausgeholt und sollte zur bleibenden Erinnerung an die historische Vergangenheit unserer Stadt vor der Kirche ihre Aufstellung finden.
Aber schon 14 Jahre später, im Mozartgedenkjahr 2006, begann ein neuer Abschnitt im „Leben“ der alten Glocke von 1525, welche Mag. Gerd Pichler vom Bundesdenkmalamt, Abteilungsleiter Klangdenkmale, als herausragendes Instrument unter den Glocken Wiens bezeichnet.
Dieser Text ist veröffentlicht in Michaeler Blätter, Nr. 1, Oktober 2006, S. 9 f.