Aller Anfang ist schwer
Die Gesellschaft des Göttlichen Heilandes, deren Mitglieder Salvatorianer genannt werden, ist im Vergleich zu anderen Orden relativ jung. Sie wurde 1881 vom in Gurtweil geborenen und 1878 zum Priester geweihten Johann Baptist Jordan gegründet. Sein Grundgedanke, den er am 13. März 1880 am Heiligen Grab in Jerusalem nach intensivem Gebet als Entschluss gefestigt hatte, bestand darin, sich mit Gleichgesinnten zur Verbreitung und Verteidigung des heiligen Glaubens zusammenzuschließen.
Überall und mit allen Mitteln, welche die Liebe Christi eingibt, sollte an der Erhaltung und Verbreitung des katholischen Glaubens gearbeitet werden. Pater Jordan sah das Zentrum der Gesellschaft in Rom, wollte aber bald nach der Gründung auf deutschsprachigem Boden Niederlassungen errichten. Da das Deutsche Reich durch die Gesetze des Kulturkampfes für solche Niederlassungen verschlossen war, interessierte er sich für Österreich, speziell für Wien. Erst beim dritten Versuch innerhalb von fünf Jahren gelang es ihm durch einen Pater tschechischer Nationalität, der Beziehungen zu seinen in Wien lebenden Landsleuten aufbauen konnte, die erste Niederlassung am 14. September 1892 in Wien Favoriten zu gründen. Nach weiteren Schwierigkeiten konnte in Österreich-Ungarn die staatliche Zulassung der Gesellschaft erreicht werden, und so folgten zahlreiche Häusergründungen in der Monarchie, unter anderem eine zweite Kommunität in Wien. 1908 wurden die sich weltweit rasch verbreitenden Niederlassungen in vier Provinzen eingeteilt. Eine davon war die österreichisch-ungarische Provinz.
Durch den Zerfall der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Ordensprovinz jedoch aufgelassen. Auf dem IV. salvatorianischen Generalkapitel 1921 beschloss das Generalat, die Häuser auf österreichischem Boden der deutschen Provinz zuzuteilen. Das Bestreben auf eine eigene österreichische Provinz wurde nicht aufgegeben, doch dafür fehlten zu jener Zeit die nötigen Niederlassungen.
Doch wie kamen die Salvatorianer zu St. Michael, oder anders gefragt: wie kam St. Michael zu den Salvatorianern? Was haben die oben beschriebenen salvatorianischen Ereignisse mit der Michaelerkirche zu tun?
750 Jahre – Drei Institutionen
Die Michaelerkirche blickt auf eine lange Zeit zurück. Seit ihrem Bestehen Mitte des 13. Jahrhunderts wurde sie von drei geistlichen Institutionen geleitet und geprägt. Von ihrer Gründung bis ins Jahr 1626 betreuten Diözesanpriester die Pfarre. Ab 1626 wurde die Michaelerkirche den Regularklerikern des heiligen Apostels Paulus, die nach ihrem Gründungsort bei der Kirche St. Barnabas in Mailand vom Volk Barnabiten genannt wurden, zur seelsorglichen Betreuung übergeben. Beinahe 300 Jahre lang wirkten die Barnabiten in Österreich und prägten die Gemeinde von St. Michael, ebenso wie die anderen Pfarreien von Mariahilf, Mistelbach und Margarethen am Moos. Die Grundzüge ihrer Seelsorge waren die Pflege der Predigt, treue Verwaltung des Bußsakramentes im Beichtstuhl und Gebet vor dem Allerheiligsten. Ihre Spiritualität und Auffassung der Seelsorge stimmten mit jener der Salvatorianer ganz gut überein, wie der 2014 verstorbene Salvatorianerpater Albrecht Cech zu erzählen wusste, der von 1975 bis 1984 die österreichische Provinz geleitet hatte. Die Katechese, Seelsorge, Wissenschaft, Kunst und Kultur der Barnabiten passte gut zu den Salvatorianern.
Auch St. Michael verlor durch den Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch der Monarchie ihre Bedeutung als „k. k. Hof-Stadt-Pfarr-und-Collegiums-Kirche“. Aus finanziellen Nöten und mangelndem Nachwuchs befand sich die österreichische Barnabitenprovinz in der Auflösung. Ohne dass die Salvatorianer damit gerechnet hatten, wurde ihnen 1923 von einem Tag auf den anderen die Betreuung der Barnabitenhäuser und -güter angeboten.
Ein Betreuungswechsel solchen Ausmaßes konnte nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten gehen. Probleme rechtlicher und wirtschaftlicher Art taten sich auf, vor allem, da für ältere Barnabiten gesorgt werden sollte. Die Verhandlungen der beiden Orden wurden nicht vor Ort in Österreich geführt. Die beiden Generalate besprachen sich in dieser Angelegenheit in Rom. Dass die Barnabitenpatres in Österreich, die ihr ganzes Ordensleben hier verbracht hatten, weder ihre Provinz, noch das Kolleg St. Michael im Speziellen einfach verlassen wollten, ist einerseits verständlich, andererseits bedeutete es für die erstmal vorübergehende Übernahme der Güter Aufschub und Hindernisse.
Auch diese Probleme konnten gelöst werden, und St. Michael wurde für die nächsten 20 Jahre (die Barnabiten dachten an eine Rückkehr nach Wien, was jedoch zur Zeit der Übernahme 1923 niemand ernsthaft in Erwägung gezogen hatte) in die Obhut der Salvatorianer übergeben, ebenso die anderen barnabitischen Apostolate und Häuser in Österreich. Dadurch wurde möglich, was die Salvatorianer gehofft hatten – die Errichtung einer österreichischen Provinz, deren Gründungstag auf den 23. Mai 1923 festgelegt wurde. Pater Theophilus Muth wurde zum ersten Provinzial gewählt und der Sitz des Provinzialates nach St. Michael gelegt, wo er sich noch heute befindet. Die Aufgabe der Patres in Österreich bestand nun in der Aufrechterhaltung lediglich der notwendigen Gottesdienste und in der Verwaltung der Barnabitengüter. Die dritte Ära der Michaelerkirche seit Mitte des 13. Jahrhunderts, jene der Salvatorianer, hatte begonnen. Doch jetzt fingen die eigentlichen Schwierigkeiten an.
Probleme und Herausforderungen
Es waren innere wie äußere Probleme, die die ersten Salvatorianerpatres in St. Michael zu bewältigen hatten. Der Wiener Kardinal wünschte keine künstliche Belebung der Kirche, daher waren nur zwei Messeleser vorgesehen. Es waren dies zu Beginn die Patres Theophilus Muth und Maurus Schulz, ehemaliger Oberer der Kollegien Jägerndorf und Meran, der wenig später nach Mistelbach versetzt wurde. Pater Capistran Schärfl kam an seiner Stelle nach St. Michael. Durch die Tatsachen, dass nach dem Krieg die Hofbediensteten verschwunden waren und die Wohnhäuser in der Umgebung der Michaelerkirche zu Geschäftslokalen wurden, deren Arbeiter außerhalb des Zentrums wohnten, fanden die Gottesdienste meist ohne Messbesucher statt. Die Kirche galt als tot. Das erzbischöfliche Ordinariat beschloss die Schließung der Pfarre und teilte ihr Pfarrgebiet auf die Nachbarpfarren auf.
Durch den Krieg waren außerdem massive Bauschäden an der Kirche und dem angrenzenden Kolleg entstanden. Pater Theophilus schrieb 1931 zum 50-jährigen Bestand der Salvatorianer: „Es war ein Trümmerfeld, auf dem mit geringen Kräften ein Neubau aufgeführt werden sollte. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit machten sich bei den von den Barnabiten übernommenen Häusern beinahe noch mehr fühlbar, als bei den eigenen.“ Weiter erwähnte er „stark in die Augen stechende Bauschäden im Äußeren und Inneren der Kirche“ und den niederdrückenden Verfall der ehemaligen „Hofpfarrkirche, die so viel Glanz und Prunk gesehen hatte“. Das angrenzende Kloster habe den Charakter eines Ordenshauses zur Gänze verloren, da große Teile des Hauses aus Geldmangel an externe Kanzleien vermietet worden waren. Bis spät in die Nacht hinein wurde gearbeitet und gelärmt. Auch Diebstahl war an der Tagesordnung.
Der Aufstieg
Pater Muth, der sich in Wien hohes Ansehen bei kirchlichen und staatlichen Behörden erworben hatte, erreichte durch Hartnäckigkeit, unterstützt vom Adel, die Öffnung der Kirche. Sie „sollte für jene Kreise zur Gedenkstätte werden, die sich der untergegangenen Habsburgermonarchie noch verpflichtet fühlten.“ Denkmäler und Monumente wurden enthüllt. Die Salvatorianer konnten sich durch Aushilfe in der Seelsorge, durch Abhalten von Exerzitien und Einkehrtagen sowie durch die Mitarbeit bei Vereinen nützlich machen. Alle Möglichkeiten einer kategorialen Seelsorge wurden ausgeschöpft, um das Fehlen des Pfarrbetriebs zu ersetzen – und das mit nur zwei Messelesern. „Der Besuch des wahrhaft imponierenden Gotteshauses ist indessen ein recht erfreulicher und es kann dort auch so viel Gutes gewirkt werden“, schrieb Pater Jordans Nachfolger und Generaloberer Pater Pancratius Pfeiffer in der salvatorianischen Zeitschrift Annales vom 31. März 1929. Und weiter im Dezember 1930: „Trotzdem ist eine Belebung des kirchlichen Lebens daselbst auffallend. Im letzten Jahre waren […] gegen 3.000 Beichten und 10.000 Kommunionen zu verzeichnen. Kaum einen Augenblick des Tages ist die Kirche ohne fromme Besucher, die mit dem Ausdruck tiefster Andacht beten.“
Am 1. Februar 1939 wurde die Pfarre wiedereröffnet, erster Pfarrer war Pater Roland Macho. Ihm folgten die Patres Josef Fütterer, Robert Jedinger, Volkmar Kraus, Wolfgang Worsch sowie Peter van Meijl. Seit der Übernahme durch die Salvatorianer wurde die Michaelerkirche aus einem toten in ein belebtes Gotteshaus verwandelt. Die Künstlerseelsorge wurde eingerichtet, die Gruft vor dem Verfall bewahrt, die Kirche bis spät in die Nacht für Besucher geöffnet und dem hohen musikalischen Anspruch Rechnung getragen. Im Kolleg ist die Pfarrkanzlei wie auch die Leitung der Provinz untergebracht, unter der weitere Niederlassungen gegründet wurden. Außerdem befinden sich in St. Michael salvatorianische Einrichtungen wie die Finanzprokura, die Leitung der Mission und das Provinzarchiv. Regelmäßig trifft sich das Provinzialat im Kolleg, um über die Entwicklung der österreichischen Provinz, zu der auch das Kolleg Temeswar in Rumänien gehört, zu beraten und zu entscheiden.
Die ersten Salvatorianerpatres in St. Michael
In 750 Jahren hat die Kirche St. Michael Höhen und Tiefen erlebt. Über 90 Jahre lang fand unter salvatorianischer Betreuung ein nicht aufhaltbarer Aufschwung statt. Pater Pancratius Pfeiffer zitierte in den Annales vom 15. Juni 1924 Bundeskanzler Ignaz Seipel, als er ihn im Ministerium auf dem Ballhausplatz besuchte und sie auf die Barnabitenobjekte zu sprechen kamen: „Sehen Sie da die Straße hinunter; wir haben hier gerade Ihre neue Niederlassung St. Michael vor uns! […] Nur Mut, die Zukunft gehört den jüngeren Genossenschaften!“
Der Text ist veröffentlicht in Michaeler Blätter, Nr. 40, August 2016, S. 4 f.
Bildquellen: Österreichisches Provinzarchiv der Salvatorianer, asa