Für den Gottesdienst am Pfingstsonntag, 9. Juni 2019 in der Wiener Michaelerkirche wählte ich Johann Sebastian Bachs Kantate „Erschallet, ihr Lieder“, BWV 172, für Soli, Chor, drei Trompeten, Pauken, Streicher und Basso continuo. Diese Kantate zum 1. Pfingsttag erklang erstmals 1714 in Weimar, im selben Jahr, als in Wien die Sieber-Orgel der Michaelerkirche zum ersten Mal erklang. Diese Pfingstkantate muss wohl zu Bachs Lieblingsstücken gehört haben, denn er führte sie später auch in Köthen und Leipzig immer wieder auf. Die Vielzahl an Aufführungen brachte eine Anpassung an die jeweiligen lokalen Bedingungen mit sich, sodass mehrere Fassungen überliefert sind. Für die Aufführung in der Michaelerkirche fiel die Wahl auf die 2. Leipziger Fassung in C-Dur. Dabei habe ich den Versuch unternommen – gewissermaßen als ökumenisches Zeichen im Rahmen der Fernsehübertragung – eine evangelische Kantate in einen katholischen Gottesdienst zu integrieren, indem die Kantate nicht als Einheit musiziert wird, sondern die einzelnen Sätze an passenden Stellen im Gottesdienst zur Aufführung gebracht werden.
Der festliche Eingangschor in Tutti-Besetzung eröffnet den Pfingstgottestdienst. Rezitativ und Arie für Bass-Solo erklingen an Stelle des Antwortpsalmes. Bach verwendet in der Arie „Heiligste Dreieinigkeit“ zum Bass-Solo die besondere Besetzung von drei Trompeten und Pauken mit Continuo. Die Arie „O Seelenparadies“ für Tenor-Solo mit Continuo und einer im Unisono geführten Streicherstimme findet bei der Gabenbereitung statt. Sie besingt den wehenden Geist Gottes und ermuntert den Gläubigen, für ihn bereit zu sein. Während der Kommunion führen Seele (Sopran) und Heiliger Geist (Alt) ein inniges Zwiegespräch im Duett „Komm, lass mich nicht länger warten“. In diesem äußerst kunstvollen Satz kommen zum Vokaldialog noch zwei Instrumentalstimmen hinzu, wobei die Oberstimme (Orgel) den Pfingstchoral „Komm, Heilger Geist, Herre Gott“ reich verziert dazwischen streut. Nach dem Segen erklingt der Schlusschoral „Von Gott kömmt mir ein Freudenschein“. Wir wissen, dass Bach bei manchen Aufführungen den Eingangschor danach noch einmal wiederholen ließ, und das werden wir bei unserem Pfingstgottesdienst auch machen. Damit bekommt der Gottesdienst einen schönen Rahmen und der traditionelle Rosenregen von St. Michael seine festliche Musik.
J.S. Bach: „Erschallet, ihr Lieder“, BWV 172
Kantate zum 1. Pfingsttag für Soli, Chor, 3 Trompeten, Pauken, 2 Violinen, 2 Violen und Basso continuo (2. Leipziger Fassung)
Sopran: Júlia Bányai
Alt: Johanna Krokovay
Tenor: Daniel Johannsen
Bass: Markus Volpert
Chor und Barockorchester St. Michael
Leitung und Orgel: Manuel Schuen