Die Orgel der Michaelerkirche wurde 1714 vom mährischen Orgelbauer Johann David Sieber erbaut. Nachdem Sieber 1711 beim Neubau der Orgel im Stephansdom seinem Konkurrenten Johann Römer unterlegen war, hatte er in St. Michael den Zuschlag erhalten, da die Kirche damals Sitz der Mährischen Landsmannschaft war. Das reich gegliederte, mit fein ziseliertem Dekor versehene Instrument ist aufgeteilt auf zwei komplementäre Hauptcorpora, worin sich – c- und cis-seitig getrennt – Hauptwerk und Pedalwerk befinden, ein Rückpositiv und ein sogenanntes Echo- oder Continuowerk, das in den Spieltisch integriert ist. Noch im 18. Jahrhundert wurde Siebers Werk umgebaut: 1743 durch Gottfried Sonnholz, der das Rückpositiv als Hinterwerk zwischen den beiden Hauptcorpora positionierte und 1785 durch Franz Xaver Christoph, der das Spieltischpositiv erneuerte. Weitere Eingriffe erlitt das Instrument im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei Jacob Deutschmann die Disposition 1845 im romantisch-biedermeierlichen Geschmack veränderte und den Stimmton herabsetzte. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs mussten auch in St. Michael die Prospektpfeifen zu Rüstungszwecken abgeliefert werden; Ferdinand Molzer ersetzte sie 1920 durch Zinkpfeifen und ergänzte die Pedalklaviatur auf 20 Töne.
Eine von Arnulf Klebel 1972 begonnene Rekonstruktion des Ursprungszustands verlief ergebnislos. Schließlich aber konnte die Sieber-Orgel 1986/87 durch den norddeutschen Orgelbauer und Restaurator Jürgen Ahrend restauriert und die verlorene Substanz rekonstruiert werden: dazu zählen die verlorenen Zungenstimmen, die terzhaltigen Mixturen, die Reposition des Rückpositivs, die Trakturführung, das Balghaus mit drei Keilbälgen und die Wiedergewinnung der ungleichschwebenden Stimmung sowie des hohen Stimmtons (a‘ = 448 Hz/17°). Als Modell fungierte das etwas ältere, 1708 erbaute Schwesterinstrument im mährischen Polná bei Jihlava (Iglau).
Die klanglichen Eigenschaften von Siebers Orgel der Michaelerkirche sind in ihrer Vielfalt einzigartig für den donauländischen Orgelbau des frühen 18. Jahrhunderts. Nicht nur die hier eher selten anzutreffende Dreimanualigkeit, auch der auf den romantischen Orgelklang vorausweisende Reichtum an Äqualstimmen einschließlich Schwebung (Piffares), die Farb- und Effektregister (Quintzimbel im Hauptwerk, Terzzimbel im Rückpositiv, Fagott und Nasard) und die doppelt gestaffelte Plenumfähigkeit (terzhältiges Groß-Plenum einerseits, quasi-italienisches Reihenstil-Plenum andererseits) zeichnen sie als eine der bedeutendsten Barockorgeln im gesamten Donauraum aus. Dank der kongenial ausgeführten Restaurierung ist sie mehr als nur ein Klangdenkmal: In Liturgie und Konzert, solistisch und im Ensemble, erweist sie sich als stilistisch differenziert einsetzbares, „heutiges“ Musikinstrument, das Spieler und Hörer gleichermaßen fasziniert.